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Karfreitagsandacht

Hier kannst du die Andacht zu Karfreitag von unserem Pastor Sebastian Rink nachlesen. Für Fragen, Widerspruch oder Rückmeldungen wende dich gern an pastor@feg-fischbacherberg.de. Die Musik vor und nach der Andacht kommt vom isländischen Komponisten Ólafur Arnalds, der mit seinen wenigen Tönen schnell ein eine Stimmung versetzt, die dem Karfreitag sehr angemessen ist. Vielleicht geht es euch ähnlich.

Heute ist der dunkelste Abend des Kirchenjahres. Wir „feiern“ diesen Tag, aber doch so, wie man die Trauer „feiert“. Ohne jedes: „Es wird schon für irgendwas gut sein.“ Ohne billige Vertröstung. Sondern traurig. Über den Tod eines Menschen, und wie die christliche Tradition gegen alles Unbehagen an diesem Satz glaubt: Traurig über den Tod Gottes. Das ist seit jeher skandalös. Für diejenigen, die sich im Glauben orientieren; und genauso für alle, die den Glauben von außen betrachten. Karfreitag bedeutet aushalten. Die Dunkelheit, den Schmerz, die Trauer. Die Irritation aushalten und die Verstörung. Damit verlangt uns unser Glaube viel ab. Sehr viel.

Natürlich: Dieser Glaube glaubt sich bis zum Ostermorgen durch, er ist dann doch nicht so ohne Aussicht, wie es der historische Karfreitag für die Jüngerinnen gewesen sein muss. Aber der christliche Glaube braucht immer beide Seiten: Die Trauer, aus der die Freude hevorgeht; den Schatten, der vom Licht vertrieben wird; den Tod, dem sich das Leben entgegenstellt.

Karfreitag verweilt in Trauer, Schatten und Tod – und verlangt uns damit viel ab. Für manche fühlt es sich vielleicht gerade heute so an, als dauerte dieser Tag nun schon über ein Jahr – 76.775 Tode lang, und das nur bei uns, weltweit sind es fast drei Millionen. Lasst uns das heute gemeinsam betrauern. Lasst uns gemeinsam alle Wut und Verzweiflung in diese Geschichte von Karfreitag legen, lasst uns all unsere eigene Kraftlosigkeit und Müdigkeit, die Resignation und jeden zynischen Gedanken von dieser biblischen Geschichte aufsaugen. Vielleicht gelingt es. Vielleicht gelingt es dann, dass wir diese dunklen Seiten unseres Alltags für einen Moment hineinschicken in die Ruhe des Karfreitags und Karsamstags, in der Erwartung, dass die Osterfreude vielleicht das eine oder andere gerade rückt.

Hören wir die Geschichte, die wie keine andere von der Dunkelheit des Lebens spricht.

Lukas 22,66–71 in der Bibel in gerechter Sprache lesen
Lukas 23,1–5 in der Bibel in gerechter Sprache lesen

„Ich finde keine Schuld an diesem Menschen.“ Die Frage nach Schuld und Verantwortung ist in unseren Tagen vielleicht lauter denn je. Natürlich geht mir die Pandemie durch den Kopf und die Frage, wer denn wie entscheidet und verantwortlich ist. Natürlich sind sie nicht alle gleich Pilatus, das wäre zu einfach. Und es gibt zugleich so viel anderes, wo es um Schuld und Verantwortung gehen müsste: Bei Lieferketten, Menschenrechten, Mindestlöhnen, Klimaschutz. 

Eines ist bei alledem aber vermutlich gleich: Die Suche nach Schuldigen entlastet. Sündenböcke tragen, wenigstens für einen Moment, die Schwere des eigenen Gewissens davon. Und Jesus erträgt das. Gott erträgt diese unheilvolle Dynamik des Menschseins, gesteht der Menschheit diese Entlastung zu, indem Gott sie an sich selbst erduldet. Gott selbst erträgt es, der Sündenbock zu sein!

Lukas 23,6–11 in der Bibel in gerechter Sprache lesen

Dürfen wir bei diesem Gedanken stehen bleiben, dass Gott es erträgt, der Sündenbock zu sein? Wir lesen hier von einer unheilvollen Allianz, die sich die Verantwortung hin und her schiebt – ohne dass dem eigentlichen Opfer auch nur ein Deut geholfen wäre. Bloß weg mit der Verantwortung. Der Anblick des Sündenbockes ist Entlastung für den Moment, ja – aber irgendwann sollte er mich überführen. Bei Jesaja heißt es: Wir hielten ihn für einen, der von einem anderen so gedemütigt würde – und haben zu spät erkannt, dass wir es selbst waren. Haben das Blut an unseren Händen ignoriert.

Das ist alles andere als entlastend. Das belastet mich. Und tatsächlich möchte ich nicht, dass Karfreitag mir leichtfertig zu einem Tag der Entlastung wird. Klar, einerseits ist es Entlastung, denn diese Geschichte erzählt davon, dass Gott es aushält. Sie erzählt mir davon, dass das Leben es aushält – wenn auch unter unerträglichen Schmerzen. Es darf aber andererseits nicht bei der Entlastung bleiben. Denn wir, die Menschheit, alle miteinander, wir haben uns an Gott vergriffen, wir trachten dem Leben nach dem Leben. Immer wieder. Freunden wir uns nicht damit an, die Verantwortung nur hin und her zu schieben, wie Herodes und Pilatus es taten.

Lukas 23,13–25 in der Bibel in gerechter Sprache lesen

Eine Geschichte von Macht und Masse, in der sich die Mächtigen von der vermeintlichen Stimmung treiben lassen, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Jesu Tod war eine politische Entscheidung, um nicht zu sagen: eine populistische. Man hat gern das Volk dafür verantwortlich gemacht, und die dunklen Stränge der Geschichte haben betont, dass es doch ein jüdisches Volk gewesen sei. Aber die Macht lag in der Hand des Pilatus. Immer. Zu jedem Zeitpunkt. Es waren seine Entscheidungen. Seine Macht – aber die Verantwortung wälzt er auf das Volk ab, weil er die unliebsame Entscheidung scheut.

Anschaulich wird mir erzählt, wie die Dynamik des Lebens zu einem teuflischen Kreislauf werden kann, aus dem niemand aussteigt – obwohl es möglich wäre. Von einer zur nächsten Szene möchte man rufen: „Dem muss doch endlich jemand Einhalt gebieten!“ Aber niemand tut es. Nicht einmal Gott tut es, weil Gott selbst in diesem Kreislauf gefangen zu sein scheint. Weil das Göttliche unter den Schlägen und Rufen der Menschheit untergeht.

Karfreitag ist der Tag der Zerknirschung, meiner Zerknirschung – auf Hoffnung hin, ja, ganz sicher. Aber niemals vorbei an meiner persönlichen Betroffenheit.

Lukas 23,26–49 in der Bibel in gerechter Sprache lesen

Der Hauptmann hat in dieser Geschichte etwas entdeckt, das für viele andere verborgen blieb. Und genau das ist die Herausforderung bei jedem Blick aufs Kreuz: Gott darin entdecken. In dieser heillosen Erzählung die Gerechtigkeit erahnen. „Dieser Mann war wirklich ein Gerechter“, sagt der Hauptmann. Und ich will das so hören: An ihm können wir die Gerechtigkeit ablesen. Wir könnten in der Ungerechtigkeit, die ihm widerfährt, lernen, was es mit der Gerechtigkeit auf sich hat. Und dabei geht es nicht bloß um Recht. Sondern Gerechtigkeit ist die göttliche Lebensweise. Gerechtigkeit ist, wie diese Welt heil und gesund wird. Gerechtigkeit ist das Paradies, nicht erst irgendwann, sondern heute. Ãœberall, wo wir uns auf diesen Weg mitnehmen lassen, mit Jesus Christus und seiner Geschichte, da erleben wir ein bisschen Paradies. Aber es ist und bleibt umringt von Gewalt, von Ungerechtigkeit. Da sind die Schaulustigen auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite, in der Ferne – ja, da sind wieder, unsere Jüngerinnen. Und ich stelle mir vor, wie sie diese Szenerie mit Entsetzen beobachten. Wie sie gerne eingreifen würden, oder wenigstens ein bisschen begreifen. Wie sie an der Ungerechtigkeit des Lebens, die sie gerade sehen, zerbrechen.

Sie werden trotz allem an der Gerechtigkeit festhalten. Werden dieser Geschichte von Jesus Christus über das Ende hinaus weiter folgen. Sie möchte ich mir zum Vorbild machen und mich trotz aller Zerknirschung und Belastung immer weiter davon locken und motivieren lassen, dass der gerechte Gott sichtbar wird, unter seinem Gegenteil, wie Luther sagt, nämlich mitten in dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit.

Für viele ist das Kreuz das Zentrum aller Theologie und nicht wenige kämpfen erbittert um die von ihnen favorisierte Theorie, was das Kreuz denn bedeuten möge. Ich schlage etwas anderes vor, nämlich: Am Kreuz, da endet jede Theologie. Sie verstummt. Sie steht mit vor Entsetzen offenem Mund vor dieser Geschichte der Ungerechtigkeit und erahnt in ihrem Gegenteil, wie die göttliche Gerechtigkeit sein müsste. Wie das Paradies sein müsste.

Und sie hofft. Ich hoffe, dass diese göttliche Gerechtigkeit aufleuchtet. Dass Welt heil wird, mein Leben gesund wird, dass wir miteinander einen immer neuen Anfang wagen, wo wir uns die Gerechtigkeit aus dieser ungerechten Geschichte erzählen lassen. Auch wenn es ewig und drei Tage dauert. Ich hoffe, weil mir meine Verzweiflung manchmal keine andere Wahl lässt, als zu hoffen.

Unser Ostergottesdienst wird am Sonntag ab 10 Uhr auf YouTube (https://youtube.com/fegfischbacherberg) zu sehen sein, schaltet dann gerne ein! Zum Abschluss dieser Andacht spreche ich euch noch einen Segen zu:

Der Gott der Gerechtigkeit segne dich!
Mögest du Gott auch im Gegenteil erkennen,
damit dir das göttliche Leben aufleuchtet, 
mitten im Dunkel, mitten in der Trauer.
Gott segne dich. Amen.